Languedoc – Wasser für Nemausus (Nîmes)

Ein Reisebericht über das Languedoc
Von Michaela Heinze

Unsere erste Begegnung fand Ende der 1980er Jahre statt. Ich war mit meinem Bruder zusammen als Jugendreiseleiterin in Saintes-Maries-de-la-Mer auf einem Campingplatz Hüterin und Bespaßerin von 25 Jugendlichen, die kaum jünger waren als wir. Damals waren die Camargue und das Languedoc touristisch noch nicht ganz so erschlossen wie heute. Die altrömischen Bauwerke zogen eher Lehrer und andere Intellektuelle an, die sich das Wissen über die historische Vergangenheit Südfrankreichs über Studienreisen aneigneten.

New Model Army in der Arena

Die historischen Bauten interessierten mich damals weniger wegen seiner Vergangenheit, sondern eher, weil sie eine echt abgefahrene Kulisse für aktuelle Events darstellten. Wie die Arena in Arles, in der damals ein Konzert von New Model Army stattfand, für dessen Teilnahme mir leider das Geld fehlte. Cool war das trotzdem.

Maria und die schwarze Sara

Saintes-Maries-de-la-Mer, das im 4. Jahrhundert gegründete Städtchen im Sumpfland des Rhonedeltas, hatte einiges für Jugendliche zu bieten. Einen tollen Sandstrand, einen klasse Campingplatz und eine kleine Einkaufsstraße mit allerlei Tinnefflädchen für großes und kleines Geld. Die alte Wehrkirche Notre-Dame-de-la-Mer aus dem 14. Jahrhundert, die über einen eigenen Brunnen verfügt und so Belagerungen über Wochen standhalten konnte, beeindruckte uns seinerzeit wenig. Ebenso der Umstand, dass der Sage nach die schwarze Sara zusammen mit Maria Magdalena von Jerusalem über das Meer geflüchtet sein soll und sie seither jedes Jahr im Mai von den Roma (Gitans) mit einer großen Prozession gefeiert wird. Lediglich das angrenzende Vogelschutzgebiet mit seinen hunderten Flamingos rang uns Bewunderung ab. “Wow! Freilebende Flamingos in Europa”, das hatte irgendwie was.

Van Gogh und die Arena

Da das “nur am Strand liegen” auch für Jugendliche langweilig werden konnte, hatte der Veranstalter Ausflugsfahrten vorgesehen. Und so ging es dann eines sonnigen Morgens auf in Richtung Norden. Das 30 km entfernte Arles war die erste Station unseres Besuchs im Inland. Mein Faible für Kunst (mein 4. Abiturfach) und speziell die Expressionistische, ließ mich Arles freudig erkunden. Van Gogh hatte hier gelebt, vis-à-vis der Arena, dem römischen Amphitheater, das Platz für 25.000 Zuschauer bot.  Seine Arbeiten sind bis heute in der Stadt allgegenwärtig.

Wasser von Uzès nach Nîmes

Die zweite Station unseres Ausflugs führte uns nochmal 30 km weiter in das beschauliche Städtchen Remoulins, das so unscheinbar war, dass ich mich bis zu meiner Rückkehr Anfang der 2000er Jahre, nicht mehr daran erinnern konnte. Remoulins liegt am Fluss Gardon, der dem Departement Gard seinen Namen gibt. Wenige Kilometer flussaufwärts habe ich ihn dann zum ersten Mal gesehen. Rund 50 m hoch, 275 m lang und rund 2000 Jahre alt – der Pont du Gard. Der Aquädukt ist Teil einer alten Wasserleitung, die über 50 km lang das Wasser von Uzès bis nach Nîmes transportierte. Und da der Gardon ein natürliches Hindernis darstellte, bauten die Römer eine gigantische Brücke über den Fluss. Ganz oben in 49 m Höhe verlief die Rinne, die das Wasser auf die andere Seite und von dort noch einmal 30 km weiter nach Nîmes transportierte. Der gesamte Aquädukt besaß ein durchschnittliches Gefälle von 24 cm pro Kilometer. Pro Tag flossen so 20.000 Liter Wasser nach Nemausus, wie Nîmes damals hieß. Bis heute weiß man nicht, wie die antiken Baumeister so exakte Berechnungen anstellen konnten. 

Das ehrwürdige Bauwerk

Von dort oben hatte man einen wahnsinnigen Blick über das Umland des Languedoc und die Garrigue, die mediterrane Dornbuschlandschaft. Damals war das Besteigen der oberen Ebene noch erlaubt und mein Bruder stand mit seiner Videokamera ganz oben, filmte die Landschaft und zoomte auf die Felsen unter uns, wo unsere Kids sich ihre Urlaubsbräune holten. Mir wird heute noch schlecht, von der Höhe, wenn ich die Aufnahmen sehe. Wohlweislich ist das Besteigen der Rinne in den vergangenen Jahren verboten worden. Es gab wohl zu viele Unfälle oder Selbstmorde. Heute schieben sich in der Hauptsaison zwischen Juli und August tausende Besucher aus allen Kontinenten über das Weltkulturerbe, was es schwierig macht, das ehrwürdige Bauwerk in aller Ruhe zu genießen.

Folgt man jedoch der alten Wasserleitung Richtung Vers-Pont-du-Gard, so findet man nur ein paar Schritte abseits der Massenbewegung plötzlich Stille. In kleinen Rundbögen von 3 m Höhe, teils verfallen, teils intakt empfindet man die Gesamtheit und die wahre Größe des architektonischen Bauwerks. Wie viele Steine mussten bewegt, welche mathematischen Berechnungen vollzogen werden, um diese Meisterleistung römischer Baukunst umzusetzen. Mich zieht es bis heute ins Languedoc. Inzwischen kann ich nicht nur die Schönheit dieser wilden und ursprünglichen Natur schätzen, in ausgedehnten langen Wanderungen mit Mann und Hunden. Ich spüre auch die Kraft und die Macht der antiken Bauwerke, die seit über 2000 Jahren existieren. Welches in heutiger Zeit errichtete Monument wird wohl noch in 2000 Jahren bestehen?

Text und Fotos: Michaela Heinze